Warum Deutschland in der Digitalisierung endlich vorwärts kommen muss

Zwischen Wattenmeer und Alpen herrscht viel Dürre

von Nicolai Goschin und Oliver Reul

In unserem Fachartikel schauen wir uns an, was wir als Agentur und Partner:in für Digitalprojekte in Verwaltungen und Institutionen tun können, um diese in digitalen Bereichen sowie Projekten zukunftsfähig aufzustellen. Außerdem erklären wir, warum zumindest der neue Ampel-Koalitionsvertrag für dieses Themenfeld ein kleiner Schritt in die richtige Richtung sein könnte.

Digitaler Friedhof, Servicewüste und multimediales Neuland – Begriffe, die polemisch klingen, treffen für Deutschland (leider) mitunter einen wahren Kern. Zumindest, wenn wir uns dem Thema Digitalisierung annehmen. Denn dort ist eine der führenden Wirtschaftsnationen der Welt bestenfalls nur absolutes Mittelmaß. Und das, obwohl es eine Vielzahl hochqualifizierter Menschen gibt, die sich in Agenturen und anderen Bereichen mit Digitalisierung und benachbarten Themenfeldern auseinandersetzen.

Projekte scheitern früh

Längeren Atem bewahren

Lassen Sie uns zunächst ein wenig aus dem Nähkästchen plaudern: Zu Beginn dieses Jahrtausends machte eines unserer helllichter sein erstes Praktikum in einer Agentur. Alles groß, alles spannend, alles Themen, die im Heute das Morgen vorbereiten sollten. Eine „New World“ sozusagen. Der richtig „heiße Scheiss“, der langsam von Übersee nach Deutschland zu schwappen begann. Eines der ersten Projekte, die der Kollege auf den Tisch bekam, war das Thema „Digitale Krankenakte“.

Sie sollte flächendeckend ausgerollt werden und mittelfristig die medizinische Versorgung sowie den Informationsaustausch unter den behandelnden Ärzt:innen erleichtern. Man redete davon, dass Patient:innenakten mit Befunden, Röntgenbildern, Medikamenten-Auflistungen und einigem mehr digital abrufbar gemacht werden sollten. Mit den Worten „Da wird bald was kommen, schau dir das mal an“ entließ man ihn in die weitere Recherche. Es sollte dem Vernehmen nach nur Wochen, im schlimmsten Falle Monate dauern, bis das „drängende Thema“ umgesetzt werden würde.

"Da wird bald was kommen"
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Genau jetzt wäre der Punkt, wo Sie als Leser:in mindestens einmal stolpern müssten. Moment, schreiben die von helllicht da gerade wirklich Anfang des Jahrtausends? Das ist richtig. Genauer gesagt war es 2004. Damals ging es darum, dass das Gesundheitswesen einen neuen, digitalen (und, wenn man so will, smarten) Anstrich bekommen sollte. Wie gesagt: „New World“. Vernetzung. Kurze Wege. Die Zukunft in die Gegenwart holen.

Dass das Ganze dann aber über Jahre und leider auch über ein Jahrzehnt nur eine müde Idee blieb, lag weniger am feschen und gut aufgelegten Praktikanten von einst – der jetzt eine wie wir finden famose Agentur mit seiner Expertise bereichert –, sondern an Bürokratiehürden und Mechanismen, die gute Ideen gerne einstauben, anstatt sie in die Welt zu stupsen und damit real werden zu lassen.

Gute Ideen versanden

Heute nur Kopfschütteln

Nun liegt 2004 schon einige Zeit zurück. Kinder, die damals auf die Welt kamen, sind nicht nur aus den Kinderschuhen raus, sie stehen kurz vor der Volljährigkeit. Und dennoch haben sich das digitale Wesen und die Herangehensweise an digitale Projekte in diesem Land kaum verändert. Beziehungsweise lassen die Ergebnisse oftmals zu Wünschen übrig. Erst im Herbst 2021 wurde ein Misserfolg publik, der in der Digital- und Medienbranche abermals für reichlich Kopfschütteln sorgte: Das Projektvorhaben „Digitaler Führerschein“, kurz auch „ID-Wallet“ genannt, eine Idee des damaligen Bundesministeriums für Verkehr und Digitales, fuhr sprichwörtlich gegen die Wand. Eine weitere krachende Niederlage in Sachen smarten Fortschritts in Deutschland.

Das ist sehr bedauerlich, zumal es auch für andere Sektoren einen Anreiz geschaffen und für Verbesserung gesorgt hätte. Nehmen wir als Beispiel nur einmal die Sharing-Anbieter:innen für Fahrräder, Autos oder Scooter. Bis Sie dort Ihren Account freigeschaltet haben, sind so auch zu Fuß an Ihr Ziel gekommen. Oder anders gesagt: Die prozessualen Hürden lassen ein spontanes Nutzen des einen oder anderen Anbieters schlichtweg nicht zu. Wenn Sie nicht angemeldet sind, um beispielsweise einen Motorroller in Köln zu nutzen, stehen Sie vor einem bürokratischen Dilemma. Mal eben so registrieren und losfahren ist hier leider nicht drin, vorher steht Ihnen nämlich noch ein Registrierungsprozess mit Identitätsfeststellung und Co. bevor – und da kann man den Anbieter:innen keinerlei Vorwürfe machen, denn auch sie müssen sich an Vorgaben halten. Mit dem digitalen Führerschein wäre zumindest das allerdings im Nu überwunden.

Ein wahrer Fortschritt für viele Branchen - einfach in die Tonne geworfen.

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Eine ID-Wallet, wie sie dereinst geplant war, wurde als „digitale Brieftasche“ angepriesen und hätte Nachweise „unkompliziert gespeichert, gegenüber Dritten vorgezeigt und per direkter Datenübertragung auf Gültigkeit überprüft“. Sie hätte Zeit gespart, Nerven geschont und wäre ein wirklicher Fortschritt gewesen. Doch wurde die famose Idee einer ID-Wallet letztlich kurz nach dem Go-live wieder aus den AppStores entfernt. Datenschutz-Schwierigkeiten, was auch sonst?! Dass es ein weiteres Millionengrab in der digitalen Historie ist, müssen wir an dieser Stelle nicht gesondert erwähnen.

Aufrufe oft uninteressant

Die Basics müssen stimmen

Als Unkompliziert kann man die Verwirklichung digitaler Projekte in der Bundesrepublik leider wirklich nicht bezeichnen. Doch wir stellen uns dabei vor allem die Frage: Warum scheint es nicht so lukrativ zu sein, sich mit Digitalprojekten zu beschäftigen, bei denen der Bund (oder das Land) auf der Auftraggeber:innen-Seite ist? Für uns ist das deutlich naheliegender, als sich viele vielleicht denken.

Zunächst sehen wir es grundlegend positiv, dass sich die Bundesregierung und die jeweiligen Ministerien offen gegenüber digitalen Veränderungen bis hin zu (richtigen) Transformationsprozessen zeigen. Denn wer mal seine Trauung anmelden wollte, der weiß, wie schwer es ist überhaupt einen Termin bei der örtlichen Stadtverwaltung zu bekommen. Den Bedarf dieses Verfahrens/Systems noch einmal grundlegend zu überdenken und zu überholen, sehen die Behörden also schon. Und dennoch gibt es vielerlei Gründe, warum Projekte immer wieder scheitern.

Selbstkönnen ist das Eine, die Richtigen zu fragen das Andere.

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A. Fehlende Fachkompetenz: In den Ministerien und Verwaltungsinstitutionen, die die Projekte vorantreiben, fehlt häufig die Fachkompetenz. Um das an dieser Stelle klar zu sagen: Das kann dort auch niemand erwarten. Sie können ja auch einem Chirurgen nicht vorwerfen, dass er das Medizinwesen nicht grundlegend reformiert hat. Oder einer Lehrerin vorhalten, dass es im Bildungsbereich Mängel gibt. Hier ist in unseren Augen ein grundlegender Denkfehler: Die Leute in den Behörden nehmen an, sie müssten den Hut in den Projekten aufhaben und ständig auch dementsprechend agieren sowie handeln können. Doch aus einem Ministerium heraus können sie ein solches Projekt nur sehr schwer durchgehend steuern. Daher ist es zwingend, das zu externalisieren und die externen Partner:innen auch während eines Projektverlaufs bei sich zu wissen.

B. Ausschreibungen: Die Ausgestaltung einer Ausschreibung hat häufig zwei Probleme. Meist ist das Angebot schon fachlich nicht korrekt formuliert oder besser gesagt „überarbeitungswürdig“ – es so zu erfüllen ist daher oftmals für viele Agenturen kaum möglich. Hinzu kommt, dass sie aber bei einer solchen Art von Ausschreibung schon rein rechtlich nichts anderes anbieten dürfen, als das, was dort drinsteht. In freien, offenen Verfahren würde man sich beispielsweise zwischen Auftraggeber:in und Auftragnehmer:in noch abstimmen, doch ist der Weg bei einer öffentlichen Ausschreibung schon vorgegeben. Darüber hinaus werden Sie als Unternehmen in Ausschreibungen teilweise gebeten, Sachen anzugeben, bei denen wir als Agentur schlichtweg sagen, das möchten wir nicht. Als Beispiel ist da die Frage nach Ausbildungen der Mitarbeiter:innen. Normalerweise würde wir sagen: „Lassen Sie das unsere Sorge sein!“ Gute Agenturen, Dienstleister:innen und Partner:innen sind an diesem Punkt dann leider oftmals schnell raus. Und zu guter Letzt: An einer Ausschreibung teilzunehmen ist meist sehr arbeits- und dadurch auch kostenintensiv. Dieser Aufwand für ein vernünftiges Angebot steht oft nicht in Relation zum Ertrag, so dass sich das viele erst gar nicht leisten können oder wollen.

C. Hürde Regulation: Auch über das Damoklesschwert Datenschutz hinaus gibt es einige, nicht unerhebliche Hürden. Dabei steht die Frage im Mittelpunkt: Was darf ich als Institution technisch überhaupt? Verbunden mit diesem Gefühl – wir müssen das alles selber machen, wir müssen selbst hosten, wir müssen „unsere“ internen Kräfte bündeln – schlittern sie in ein Dilemma und steuern geradewegs auf neue Probleme zu. Denn in einer digital hochkomplexen Welt ist es illusorisch dies alles selbst zu können. Vielmehr sollten Sie dem Credo folgen: Wenn Sie das bestmögliche Ergebnis haben wollen, müssen wir auf die bestmöglichen Ressourcen zurückgreifen.

Wir könnten ja, wenn wir nur dürften.
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Was können Agenturen tun?

Know-How ist vorhanden

Doch bei allen Barrieren und Hürden sollten wir uns dennoch vergegenwärtigen, was wir als Branche leisten können. Als Agenturen haben wir nämlich die Kompetenz, über ein breites Verständnis von Technologien zu verfügen – auch oft von denen, die wir selbst nicht anwenden oder die eben auf die jeweilige Aufgabenstellung nicht passen. Wir haben das Wissen darüber, was funktioniert, wo die Reise hingeht oder worauf wir setzen sollten. Wo sind die großen Innovationen, an die ich mich anhängen kann? Was ist für das gemeinsame Projekt der richtige Ansatz? Für Antworten auf diese drängenden Fragen würden schon wenige Gespräche im Vorfeld mit Expert:innen ausreichen. Gemeinsam würde man sich anschauen, wofür der:die Auftraggeber:in eine Lösung braucht und wie man schrittweise das übergeordnete Ziel erreichen kann.

Sie müssen nicht die digitale Welt neu erfunden, das wurde sie schon hundert Male.

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Selbstverständlich laden manche Handlungsfelder auch weiterhin dazu ein, es selbst zu machen. In einigen Bereichen – und das liegt in der Natur der Sache – begeben sich Projektleiter:innen in Themenwelten, in denen sie zuvor wenige bis keine Erfahrungen gesammelt haben. Dann ist es zwingend notwendig, bestehendes Know-how aufzufrischen und Wissen hinzuzuholen. Denn ganz ehrlich: Wenn die Welt schon dutzendfach erfunden wurde, dann brauchen Sie das berühmte Rad nicht neu zu spannen. Dann haben Sie etwas, auf das Sie aufbauen können. Wenn es zum Beispiel um Terminvergaben beim Bürgeramt geht oder Tischreservierungen in der Gastronomie, dann ist das schon so ausgefeilt und erprobt, warum sollten Sie da nicht schlichtweg auf den Zug aufspringen?! Das aufzuzeigen und drauf hinzuweisen ist ein Beitrag, den wir als Agenturen leisten können. Wir geben unseren Erfahrungsschatz weiter.

Zwischen Skepsis & Hoffnung

Scheitern ist auch mal dabei

Grundsätzlich müssen wir festhalten, dass uns der weite Blick auf eine bundesweite digitale Dürre oft ratlos zurücklässt. Hierfür machen wir zwei Gründe aus:

Auf der einen Seiten die rationale und finanzielle Sicht. Denn wie bei jedem Unternehmen das Steuern zahlt, blicken wir schon argwöhnisch auf die enormen Summen, die dort regelmäßig „in den Sand gesetzt“ werden. Man ist ja der Überzeugung, es sei sinnvoll, Steuern zu zahlen. Das Wissen, dass Vieles weitaus günstiger und effizienter gestaltet werden könnte, lässt einen betroffen und verärgert zurück.

Und auf der anderen Seite kennt man sich ja in der Branche: Es ist also nicht so, als hätten wir keine cleveren Köpfe in dem Bereich in Deutschland – ganz im Gegenteil. Auch wenn wir in keinem zweiten Silicon Valley leben, digitale Expertise ist in der Bundesrepublik absolut vorhanden. Da dann von der Bundesseite Gelder falsch einzusetzen und nicht die richtigen Leute zusammenzubringen – das macht einen schlichtweg fassungslos.

Ein Stück Scheitern ist immer dabei.

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Klar, ein Stück Scheitern ist immer dabei. Oft betrittst du Neuland, machst etwas zum ersten Mal – da kann auch mal etwas schiefgehen. Es kann immer sein, dass etwas nicht klappt oder nachher im Security Audit durchfällt. Aber DAS muss die Ausnahme sein und darf nicht die Regel werden. Als Beobachter muss man das Gefühl haben, dass es eine Lernkurve gibt: Neue Prozesse, neues Ministerium, wie auch immer der Weg aussieht, doch Veränderungen sind nötig.

Hoffnung macht hingegen der Blick auf den neuen Koalitionsvertrag, den die Regierung aus SPD, Bündnis 90/Die Gründen sowie der FDP unlängst verabschiedete. Dort wird vor allem der digitalen Transformation viel Raum gegeben. So verpflichten sich die Beteiligten dem Ziel, das „Potential der Digitalisierung in Staat und Gesellschaft besser zu nutzen“ und die Verwaltung agiler und digitaler werden zu lassen. Es muss sich jedoch zeigen, dass das Versprechen mehr wert ist, als die Tinte auf dem Papier, auf das es gedruckt ist – und dennoch lässt es einen positiv auf die kommenden Jahre blicken.

Digitalisierung ermöglicht schon heute für morgen zu denken!

Unsere Worte, unsere Ideen und unser Verständnis vom Digitalen ist Kern unseres Alltages. Doch das digitale Morgen lebt vom Diskurs im Heute. Unsere Arbeit ist noch lange nicht getan und entwickelt sich stetig weiter. Wir blicken begeistert auf Projekte, die sich diesem Thema offen gegenüberstellen. Und sind gleichzeitig nicht scheu davor, den Finger in die Wunde zu legen, wenn wir der Überzeugung sind, dass es anders besser wäre. Der digitalen Entwicklungsfähigkeit in Deutschland ist mit Sicherheit noch keine Grenze gesetzt.

Uns interessiert Ihre Meinung. Kommen Sie gerne auf uns zu und diskutieren Sie mit uns, wie Sie das Thema angehen würden oder angegangen sind. Aber auch und gerade vor allem dann, wenn Sie eine andere Meinung dazu haben.

Tauchen Sie gemeinsam mit uns in die digitale Diskussionswelt ab und verfolgen weiter das Ziel, jeden Tag ein Stückchen besser zu werden. Denn lebenslanges Lernen schützt das Morgen vor dem Gestern.

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